Ausstellungseröffnung in der Städtische Galerie Iserlohn am 10.02.2023
Ausstellungseröffnung in der Städtische Galerie Iserlohn am 10.02.2023 unserer Ausstellung - Langsam und ganz sacht - zusammen mit Hannah Schemelwar ein voller Erfolg.
Eine sehr gut besuchte Eröffnung mit einer tollen Einführung von Hans Michael Koetzle aus München. Ein großes Dankeschön an das Team der Städtische Galerie Iserlohn, allen voran Rainer Danne und Katja Pasche. Es war und ist eine tolle Zusammenarbeit, die richtig viel Spaß macht.
Ich stelle hier jetzt die Eröffnungsrede von Michael Koetzle zum Nachlesen auf meiner Homepage online. Es ist wahrscheinlich überflüssig zu erwähnen und trotzdem tue ich es, das der Text dem Copyright von Hans Michael Koetzle unterliegt!
Zum Auftakt, meine Damen und Herren,
zum Auftakt begleiten Sie mich auf den, Sie hören richtig, den Montblanc, 4810 Meter hoch, ein, wie es heißt, besonders gefährliches sprich launisches Stück Natur. Nicht zufällig trägt der Montblanc den Beinamen Montagne maudite, der »verdammte Berg«.
Wir schreiben das Jahr 1861. Und nicht weniger als 26 Männer, unter ihnen der Fotograf Auguste Rosalie Bisson befinden sich an diesem zunächst vielver- sprechenden Augusttag auf dem Weg zur Spitze. Weniger um Alpingeschichte zu schreiben. Der Gipfel war bereits 1786 erstmals erreicht worden. Vielmehr um sich in die Annalen der Fotografie einzuschreiben. Erstmals in dieser Höhe und mit Blick auf Eis und Schnee sollten fotografische Aufnahmen gelingen. Und dies in einem Verfahren, das schon auf Meereshöre und in halbwegs bequemer Umgebung einigermaßen schwierig zu bewältigen war.
Wir sprechen vom Nasskolodiumverfahren mit seinen mehr als einem Dutzend Arbeitsschritten von der Sensibilisierung der Platte über das Belichten in der Kamera bis hin zum Entwickeln und Fixieren des Negativs. Was in diesem Fall bedeutete: Nicht nur Kamera, Glasplatten, Kassetten und Staiv hatte die Truppe auf rund 5000 Meter zu schleppen. Ein komplettes Fotolabor musste in dieser Höhe eingerichtet und bei Minus 12 Grad und mehr in Betrieb genommen werden.
Ich zitiere einen zeitgenössischen Bericht: »Das Zelt wurde aufgeschlagen, die Camera auf das Stativ gesetzt, die Platte übergossen, empfindlich gemacht, belichtet und die Ansicht aufgenommen. Welche Ansicht! Was für ein Panorama! Als das Bild hervorgerufen war, war kein Wasser zur Hand, um es abzuspülen; man hatte darauf gerechnet, Schnee durch die Lampenwärme zu schmelzen; aber in dieser Atmosphäre brannten die Lampen nur mit sehr kleinen Flammen.
Ein Mann wurde an die Lampen gestellt, um sie am Brennen zu halten; er fiel in Schlaf. Er wurde durch einen anderen ersetzt, dem es ebenso erging. Endlich gelang es Herrn Bisson selbst, genug von diesem kostbaren Element zu bekommen. Er eilte nach seinem Zelt und vollendete sein Negativ.«
Gerade mal drei Aufnahmen gelangen Auguste Rosalie Bisson bei dieser ersten erfolgreichen Gipfeltour. Aber warum, werden Sie sich fragen, warum erzähle ich das? Was hat die Geschichte mit unserer Ausstellung, was hat sie mit Hannah Schemel, mit Steffen Diemer zu tun? Die Antwort ist simpel. Mit Bisson, mit seinem Ausflug in die Berge kehren wir zu jenen Wurzeln des Mediums zurück, denen sich auch Hannah Schemel und Steffen Diemer als fotografierende Künstler verpflichtet fühlen.
Von der Fotografie könnte man sagen, sie sei zweimal gestorben – um danach in veränderter Form zurückzukehren. Um 1880 löste die Gelatinetrockenplatte das soeben erwähnte zeitraubende, höchst komplizierte Nassplattenverfahren ab. Rund hundert Jahre später wurde das Lichtbild in seiner analogen Form weitgehend obsolet. Beide Male wurde etwas gewonnen, nämlich Tempo, ein vereinfachtes Handling, grundsätzlich eine Demokratisierung des Bildermachens.
Tatsächlich wurden Amateur- oder Knipserfotografie, aber auch Genres wie die Straßenfotografie, die Reisefotografie oder der aktuelle Bildbericht erst durch die konfektionierte, stets verfügbare Trockenplatte möglich. Ein Jahrhundert später erlöste die Erfindung der Digitalkamera von Chemie und Dunkelkammer, von Glas oder Papier gewordenem »Ballast« zugunsten wohlfeiler Datensätze, die sich noch dazu in Lichtgeschwindigkeit gratis um die Erde schicken lassen.
Parallel erübrigt haben sich so »profane« Dinge wie der Kleinbildfilm, das Negativ, der Kontaktbogen als Referenz. Womit die Fotografie freilich auch ihren »Markenkern«, ihre Glaubwürdigkeit verloren, ihren Anspruch, Realität zu transportieren, aufgegeben hat. So sehr ist die Bearbeitung, ist Photoshop Teil des digitalen Gens, dass man fotografischen Bildern inzwischen grundsätzlich misstraut.
Und noch etwas kommt hinzu bzw. blieb auf der digitalen Strecke: Jene Behutsamkeit, jenes bedächtige Agieren, jene Ökonomie im Bildermachen, wie sie die Fotografie über rund 150 Jahre ausgezeichnet hat. Noch der Kleinbildfilm mit seinen 36 Möglichkeiten wies den Fotografinnen und Fotografenen eine klare Grenze auf. Grenzen gibt es inzwischen keine mehr. Das Smartphone ist zum Körperteil mutiert und hat das eigene Schauen, den behutsam sondierenden Blick ersetzt.
Die digitale Welt, die Welt professionellen Fotografierens muss man Steffen Diemer nicht erklären. Mehr als zwei Jahrzehnte hat der 1966 in der Pfalz geborene Kamerakünstler als Bildjournalist gearbeitet. Die Rede ist von mehr als 70 Ländern auf vier Kontinenten, die er als freier Fotograf bereist und mit der Kamera erkundet hat, zahllose Kriege und Konflikte eingeschlossen.
Nicht dass er das Elend gesucht hätte. Es kam auf ihn zu, daheim in Mannheim, wo er nicht wegsah, wenn er auf Obdachlose stieß, oder draußen in der Welt, wo das gewaltsame Sterben Teil des Alltags war. Diemer sah sich gedruckt. Im Spiegel, im Stern, in der FAZ. Was nach Erfolg klingt, wurde allerdings zusehends zur Belastung bis hin zum Burnout, zum Zusammenbruch.
2011 nahm Steffen Diemer Abschied vom Fotojournalismus und erfand sich neu, ohne das Fotografieren aufzugeben. In der Entschleunigung seines Tuns fand Diemer eine kreative Perspektive, in der Erkundung technologischen Neulands, das im Grunde ein längst aufgegebener Acker war, einen künstle- rischen Horizont.
Ganz ähnlich Hannah Schemel, die sich gewissermaßen über Nacht einen anderen Weg verordnet hat. Bereits mit fünfzehn hatte die in Bühl im Schwarzwald geborene Schemel ein Jahr in den USA verbracht, dort unter anderem einen Fotokurs belegt, Bekanntschaft mit Kleinbild und Dunkelkam- mer gemacht. Zurück in Deutschland begann sie, an der Hochschule Mannheim Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie zu studieren. Machte ihren Abschluss. Arbeitete in einer Agentur.
Was nach einer Karriere in den neuen Medien oder in der Werbung klingt, erwies sich allerdings schnell als Sackgasse. Zuviel Hektik. Zuviel Kommerz. Zu viele laute Versprechen. Letzlich konnte die nervöse Welt der Werbung die junge Hannah Schemel nicht begeistern – so wenig wie ein inzwischen entmaterialisiertes Medium. Die Massen an Fotos auf der Festplatte habe sie sich gar nicht mehr angeschaut, so Schemel.
Hannah Schemel wie auch Steffen Diemer traten bewusst einen, zwei Schritte zurück. Verfahrenstechnisch beamten sie sich in eine buchstäblich vorindus- trielle Zeit, in eine Zeit, als die Fotografie noch Handwerk war, eine Art Alchimie mit immerhin handfesten Resultaten. Einer Welt der viralen Bilder kehrten sie den Rücken, um das Schauen, das Staunen, das Sehen neu zu lernen. Dabei ist ihr Rückgriff auf historische, im Prinzip ausgestorbene bzw. unübliche, weithin vergessene Verfahren keine Marotte, sondern der bewusst unternommene Versuch, sich der dinghaften Welt mit Demut, einem ausge- bremsten Blick zu nähern.
Bei Steffen Diemer war es der pure Zufall, der ihn mit dem sogenannten »Nassen Kollodiumverfahren« Bekanntschaft machen ließ. Den Weg gewiesen hatte eine im Vorübergehen entdeckte Fotozeitschrift, in der das historische Prozedere beschrieben wurde. Die Vorteile seinerzeit: Erstmals fungierte Glas als Schichtträger, im Ergebnis erhielt man ein fein durchgezeichnetes Negativ, vor allem überzeugte eine gegenüber der bis dato verbreiteten Daguerreotypie oder Kalotypie erheblich gesteigerte Lichtempfindlichkeit, wodurch vor allem das Porträt im größeren Umfang möglich wurde. Bis immerhin 1880 bestimmte das Verfahren den Alltag des fotografischen Gewerbes.
Steffen Diemer besorgte sich weitere Literatur, kaufte die notwendigen Chemikalien zusammen und begann seine Versuche. Drei Jahre habe er gebraucht, eine sechsstellige Summe investiert, bis sich erste Erfolge zeigten. Am Ende war Steffen Diemer firm in einer Technik, die weltweit nur noch wenige beherrschen.
Ausgangspunkt beim Nassen Kollodiumverfahren ist eine gereinigte und polierte Glasplatte, die mit Kollodium, einer an Honig erinnernden klebrigen Flüssigkeit, übergossen wird. In der Dunkelkammer wird die so präparierte Platte in einer Silbernitratlösung sensibilisiert, in eine lichtdichte Kassette gegeben und schließlich in der Kamera belichtet. Im Anschluss wird die exponierte und noch feuchte Platte kurz in Gallussäure entwickelt, in Natrium fixiert, gewässert, getrocknet und am Ende mit einem schützenden Varnish überzogen. Vor allem das Belichten muss schnell geschehen, da mit dem Austrocknen des Kollodiums die Lichtempfindlichkeit der Schicht rapide abnimmt.
Schon im 19. Jahrhundert war es gängige Praxis, die meist kleinen Negative, überwiegend Bildnisse, schwarz zu hinterlegen. So wurde aus der im Prinzip endlos reproduzierbaren Platte ein positives Unikat – als handtellergroße »Ambrotypie« gern dekorativ gerahmt. Steffen Diemer erzielt einen ähnlichen Effekt, indem er Schwarzglas als Träger verwendet. Das Material bezieht er von einem auf besondere Gläser spezialisierten oberpfälzer Unternehmen, das bis 65 cm Breite liefern kann. Entsprechend dimensioniert sind seine Kameras, darunter ein in Bulgarien gefertiges hölzernes »Ungetüm« mit einem bis auf zweieinhalb Meter ausziehbaren Balg.
Alle möglichen Trouvaillen finden so den Weg in einen Bilderkosmos, der bei den Stillleben des Barock gelernt zu haben scheint. Tatsächlich haben etwa die monochromen Arrangements niederländischer Künstler wie Pieter Claesz den Fotografen Steffen Diemer inspiriert, auch wenn er dem mitunter reich gedeckten Tisch der Maler aus der Zeit nach 1600 eine entschiedene Reduktion, mitunter Leere, in jedem Fall Bescheidenheit entgegensetzt.
Diemers Blick ist konzentrierter, fokussiert auf das Objekt als, gewissermaßen, Individuum, das eine Tulpe sein kann, eine Birne, ein Ei, ein Schokokuss, Knoblauch oder eine Ananas. Auch geht es nicht um handwerkliche Exzellenz im Sinne einer Mimesis. Die ist mit Erfindung der Fotografie ohnehin zur Selbstverständlichkeit geworden. Es geht um Wahrnehmung, ein visuelles Innehalten, ein Studieren, also um das, was Roland Barthes einmal als »Studium« bezeichnet hat. Dem »Punctum«, dem Ereignis, dem Augenblick im Sinne einer Weichenstellung geht Steffen Diemer aus dem Weg.
Bereits während ihrer Ausbildung in Mannheim hatte Hannah Schemel Steffen Diemer und mit ihm den Charme des nassen Verfahrens kennengelernt. Seit 2016 arbeiten die beiden zusammen, was im Kern Austausch und Bildkritik, gegenseitige Anregung und ein sich Bestärken im künstlerischen Weg bedeutet.
Denn technisch wie thematisch, formal-ästhetisch wie in der Ausarbeitung ihrer Bildergebnisse geht jeder seinen eigenen Weg. Diemer arbeitet grundsätzlich im Studio, Schemel ausnahmslos im Freien. Sie setzt sich im weitesten Sinne mit dem Thema Landschaft auseinander. Bei Steffen Diemer fällt der Blick auch auf ausgewählte Artefakte. Er hat sich einem frühen Verfahren auf Glas verschrieben, sie den Platin-Palladium-Druck für sich entdeckt – eine seit Mitte der 1870er-Jahre geläufige Technik, die von Anfang an durch ihren Tonwertreichtum, eine delikate Oberfläche, einen zarten Schmelz auch in den Tiefen sowie eine an Werke der Druckgrafik erinnernde Anmutung begeisterte.
Einmal mehr erinnert der Prozess an einen Crashkurs in anoganischer Chemie. Platin- und Palladiumsalze kommen ebenso zum Einsatz wie Oxalsäure, Ferrio- oder Kaliumoxalat. Mit einem breiten Ziegenhaarpinsel wird die kostbare Platin- Palladium-Lösung auf kartonstrakes Papier aufgebracht. Belichtet wird in einer Box, unter UV-Licht und im Kontaktverfahren, das heißt, es braucht ein entsprechend großes Zwischennegativ. Schemel arbeitet in Formaten bis 50 mal 60 cm auf eigens für sie hergestelltem, handgeschöpftem Bütten. Die Bestandteile: Baumwolle, Hanf und Flachs.
Das klingt in der Summe kompliziert, was es ist. Teuer, was es ist. Aufwendig, was es ist. Aber der steinige Weg ist bei Diemer wie bei Schemel Teil eines Konzepts, Teil einer künstlerischen Strategie. Worum es geht? Um Entschleunigung. Eine Intensivierung des Blicks, die bereits im Handwerk ihren Anfang nimmt. Tiefsehen statt Instagram.
Wenn Hannah Schemel, aber auch Steffen Diemer in ihrem Handeln, ihrer Suche nach einem besonderen Timbre in der Fotografie etwas beeindruckt und geleitet hat, dann war und ist dies die japanische Kultur. Auch in der Strenge und Disziplin, mit der sich Schemel auf genau zwei Zyklen konzentriert, geht sie auf Distanz zum bunten Allerlei postmoderner Fotokunst. »Kigen« (Ursprung) hat sie die eine, an ihre Herkunft aus dem Schwarzwald erinnernde Serie überschrieben. »Umi« (Meer) nennt sie die andere. Immer wieder besucht sie ihre süddeutsche Heimat oder reist nach Quiberon in der Bretagne. Weitere Destinationen braucht es nicht. Tiefe, sagt Schemel, erreiche man nur, wenn die Gedanken und Taten um das immergleiche Thema kreisen.
Hannah Schemel geht und schaut, sieht und empfindet, kadriert im Geist, bevor die Kamera zum Einsatz kommt. Ihre Bilder entstehen im Kopf. Mitunter dauert es Stunden oder Tage, bis Vision und Wirklichkeit zur Deckung gelangen. Dabei vermeidet Schemel alles Spektakuläre, interessiert sich vielmehr für die kleinen, meist übersehenen Dinge. Weit weg sind ihre Bildfindungen von den heroischen Landschaften etwa eines Ansel Adams. Ein ins Bild ragender Zweig, eine sanfte Welle, ein Stück Horizont müssen genügen.
Schemels Bilder sind zarte Fingerzeige. Alles Ereignishafte, Auftrumpfende fehlt. Es ist eine Ästhetik der leisen Töne, die sich in ihrer Komplexität und Tiefe erst beim genauen Hinsehen erschließt. So sind Hannah Schemels delikate Platin-Palladiumdrucke betont schlicht und vertrackt zugleich, leicht und schwer, sparsam und sublim, von großer Ökonomie, zugleich an möglichen Konnotationen reich.
Steffen Diemers größte, eigens gefertigte Kamera hat die Dimensionen eines Kühlschranks. Hannah Schemel schleppt eine Sinar-Großbildkamera für Planfilm 9 mal 12 nebst Stativ durchs Gelände. Fragt sich schon: Warum tut man sich das an? Warum greift jemand im Zeitalter digitaler Kameras, die dem Fotografen das Denken weitgehend abgenommen haben, auf ein nachgerade archaisches Prinzip zurück? Aber womöglich liegt in der Frage schon die Antwort. Wer sich wie Hannah Schemel oder Steffen Diemer mit historischen Verfahren auseinandersetzt, will die Kontrolle. Will den technologischen Gegenwind spüren, um das Abenteuer Fotografie wieder als solches zu erleben. Will Alchimist und Ästhet, Regisseur und Vordenker sein und bleiben – wirklicher Autor seiner Bilder.
Es ist in der Tat ein behutsames, ein wohlkalkuliertes Arbeiten, das sich Diemer und Schemel da verordnet haben. Eines, das die spätestens seit den Surrealisten kultivierte Idee vom Zufall in der Fotografie hinter sich lässt und stattdessen auf Kontrolle, auf peinlich genaues Vorgehen setzt – Schritt für Schritt. Könnte es sein, dass die Energie, die Steffen Diemer wie auch Hannah Schemel in ihre Bilder investieren, zurückstrahlt im Sinne einer schwer zu beschreibenden Magie?
Wo sich Steffen Diemer konkreten, erkennbaren Gegenständen verschrieben hat, sucht Hannah Schemel Atmosphäre. Wo Diemer seine Objekte vor neutralem Hintergrund auf Mitte stellt, gestattet sich Hannah Schemel kühne Anschnitte. Wenn Diemer auf Ponderation setzt, setzt Schemel auf Asymmetrie. Und während der Fotograf die porentiefe Präzision des Nassplattenverfahrens kultiviert, liebt sie die Andeutung, das Ungefähre. Indem sie das Negativ nach dem ersten gelungenen Print zerstört, schafft auch Schemel Unikate: Fotografie als etwas, das man berühren, fühlen, tasten kann. »Fotografien hatten immer ein spezifisches Gewicht«, sagt Günter Karl Bose. Jedenfalls im analogen Zeitalter besaß der Abzug noch eine Grammatur, eine Haptik, eine Oberfläche, einen Rand: letzterer ist bei Diemer wie bei Schemel durchaus mitgedacht und Teil einer übergreifenden Ästhetik.
In digitalen Zeiten mutiert das Bild zum entmaterialisierten Datensatz. Steffen Diemers objekthafte Schöpfungen hingegen wiegen schwer. Und auch das wertige Bütten von Hannah Schemel besitzt eine taktile Seite. Was beide kultivieren, ist eine neue Wertigkeit. Im Sehen wie im Denken, das sich im Rückgriff auf besondere Materialien spiegelt, in der Ehrfurcht vor komplexen, zugleich kontrollierbaren Prozessen. Es sind, möchte man meinen, Bilder aus einer anderen Welt, die Steffen Diemer wie auch Hannah Schemel stiften. Wir dürfen, sollen staunen. Und lernen, sie zu dechiffrieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.